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Es geht um die Wurst

Die Eingeweihten werden sogleich wissen, worauf der Titel meines Blogbeitrages anspielt. Allen Anderen sei er kurz erklärt.

Vor kurzem hat ein Travestiekünstler, der sich Conchita Wurst nennt, den Europäischen Song Contest gewonnen. In (fast) allen Medien wurde dies als Sieg der Toleranz gepriesen.

„Auf einmal bietet der Eurovision Song Contest so etwas wie eine große Vision: Conchita Wurst geht als strahlende Siegerin aus dem Wettbewerb hervor und Europa beweist, dass es toleranter ist, als erwartet.  “ Süddeutsche Zeitung, 11.Mai 2014

Ich dachte, dass der ESC etwas mit Musik zu tun hätte. Aber egal. Dass es vor einigen Jahren bereits eine transsexuelle Sängerin den Contest gewonnen hatte (eine Israelin) scheint bereits vergessen worden zu sein – oder war das damals kein Zeichen von Toleranz? Auf der anderen Seite wurden die Künstler aus Russland gnadenlos ausgepfiffen – vermutlich weil damit „ein Zeichen“ gegen die Gesetzgebung in Russland (bzgl. Homosexuellen) „gesetz“ werden sollte. Aber ich habe mir schon selber anhören (eigentlich lesen) müssen, dass Intoleranz gegen Intolerante nicht intolerant sei. Dabei: ob die beiden Mädchen überhaupt intolerant gegenüber Conchita Wurst sind, ist ungeklärt. Dass sie russische Staatsbürger sind, dafür können sie nun wirklich nichts.

Aber lassen wir das, darum geht es mir in meinem Blogbeitrag gar nicht. Der Titel will sagen:

„Wir kommen in eine entscheidende Phase“.

Was ich damit meine?
Mir fällt immer stärker auf, dass sich die Menschen, Länder, Parteien immer stärker polarisieren. Die Mitte wird immer dünner. Das fängt bei den finanziellen Möglichkeiten an. Die Mittelschicht schrumpft. Das geht weiter bei den politischen Meinungen: die linken Parteien (SPD, Grüne, Die Linke) und die Konservativen (CDU, CSU) haben jeweils knapp 50% der Wählenden hinter sich. Wobei die Zahl der Nichtwähler zunimmt – aber diese kann man beim besten Willen nicht als Mitte bezeichnen – auch wenn es sicherlich den einen oder anderen Nichtwähler gibt, der sich nicht entscheiden kann, weil beide „Blöcke“ wichtige und richtige Ansichten vertreten. Das geht weiter bei ethischen Fragen, wie z.B. Abtreibung oder Sterbehilfe – wo Gegner und Befürworter sich in ähnlich großer Anzahl gegenüber stehen. Beim Thema Sterbehilfe ist das noch nicht so offensichtlich, kommt meiner Meinung aber noch. Bei der Frage des Atomausstieges ist zwar die Mehrheit dafür, aber bei der Frage, wie der umweltfreundliche Strom aus Norddeutschland in den Süden geschafft werden soll, gibt es fast unüberwindbare Hindernisse. Wer will schon eine Stromtrasse vor der Haustür? Auch im Ausland erscheint es mir so, dass die sich gegenüberstehenden Gruppen unversöhnlich sind und ähnliche Größe haben. In der Türkei oder auch in der Ukraine, um zwei aktuelle Beispiele zu nennen, ist es ja nicht so, dass die Regierungsgegner oder Befürworter eine deutliche Mehrheit hätten.

OK, schon wieder Geplänkel. Um was geht es mir denn nun?

Es ist gut, dass viele Menschen in Deutschland den Mut und die Möglichkeit haben, ihre Meinung und Überzeugung zum Ausdruck zu bringen. Sei es bei Stuttgart 21, dem Bildungsplan in Baden-Württemberg, oder auch dem Flächennutzungsplan in Esslingen. Problematisch, sind daran aber folgende Punkte:

1. Durch die Polarisierung ist eine sachliche Diskussion oftmals unmöglich. Der Andersdenkende wird beschimpft. Argumente einfach weggewischt. Die Toleranz der eigenen Meinung gegenüber, als Grundgesetz gesehen. Die Toleranz gegenüber anderen Meinungen gegenüber aber mit der Argumentation abgetan, dass man Intoleranz nicht tolerieren müsse und daher die Intoleranz gegen Intoleranz keine Intoleranz sei.

2. Durch die oftmals relativ gleichgroße Gruppe von Gegnern und Befürwortern, fällt es Politikern immer schwerer Entscheidungen zu treffen. Denn egal welche Entscheidung getroffen wird, es werden knapp die Hälfte der potentiellen Wähler vergrault. Entscheidungen fallen nur noch dann leicht, wenn man weiß, dass die eigenen (Stamm-)wähler eine bestimmte Entscheidung mit sehr großer Mehrheit unterstützen.

3. Selbst wenn die Gruppen nicht in etwa gleich groß sind: die Minderheit gebiert sich oft so, dass die Mehrheit denkt sie sei die Minderheit. Das macht keinen Mut eigene Überzeugungen zu formulieren.

4. und selbst wenn es eine klare Mehrheit gibt: Demokratie als Unterdrückung von Minderheiten? Nein das passt doch nicht ins Bild. Es täte den Demokraten gut, auch die Minderheiten entsprechend zu berücksichtigen, wie es z.B. in der Schweiz sogar im Grundgesetz festgelegt ist.

Was nun?

Wenn wir wollen, dass die Demokratie eine Zukunft hat, dann müssen wir zum einen, andere Umgangsformen miteinander finden um unterschiedliche Meinungen auf einer sachlichen Ebene zu diskutieren und mit einem guten Kompromiss zu lösen. Ich bin zudem davon überzeugt, dass der politische „Gegner“ bei (einigen) Entscheidungen mit eingebunden werden muss. Dabei darf sich dieser (politische Gegner) nicht auf eine Blockadehaltung zurück ziehen, sondern muss im Interesse der Menschen an einer guten und im Interesse der Menschen liegenden Lösung arbeiten. Was wir brauchen ist eine Politik und eine Gesellschaft, die nicht in jeder Äußerung die schlechtest mögliche  Aussage verstehen will, sondern die sich bemüht zu verstehen, warum jemand anders denkt als man selber. Wir brauchen eine Kultur des Miteinanders trotz Meinungsverschiedenheiten. Wir brauchen die Fähigkeit zu guten Kompromissen!

Demokratie funktioniert nur mit Menschen, die diese Überzeugung (die Überzeugung Demokratie!) leben.

Ich bin kein totaler Utopist,  und weiß aus vielen Gesprächen und Konflikten, dass es trotz intensiver Bemühungen nicht immer möglich ist, zu einer gemeinsamen Haltung, Lösung oder einem Kompromiss zu kommen. Und deshalb denke ich, dass es um die Wurst geht, um die Frage, ob die Demokratie überleben kann, ob noch Entscheidungen getroffen werden können, ob unsere Gesellschaft eine Gesellschaft bleibt in der man für seine Überzeugungen hinstehen kann. In der man auch eine Meinung vertreten kann die der Mehrheit nicht passt.

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